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Julia fasst Mut und geht nach vorn zur Tafel. "Ich glaube, das da ist eine schwierige Mutter, weil sie kein' Ehering hat", sagt die Russin über die junge Frau auf dem Bild, das sie beschreiben soll. "Schwierig? Ich glaube, das ist nicht das richtige Wort", sagt ihre Dozentin. Eine andere Teilnehmerin hilft: "Schwiegermutter! So heißt das." Julia hat ihren Sprachkurs. Doch allein in Nordrhein-Westfalen müssen zurzeit tausende Zuwanderer auf einen solchen Kurs warten. Der Grund: Das Bundesamt für Integration zahlt zu wenig, um den Ansturm bewältigen zu können. Überdies wirken auch komplizierte Förderregeln demotivierend.
900 Stunden Deutsch lernen
Julia und ihre zehn Mitstreiter im Integrationskurs kommen fünfmal die Woche in ein Spracheninstitut in Düsseldorf. Erst lernen sie 900 Stunden lang Deutsch. Dann geht es 70 Stunden lang um Politik, Demokratie und Geschichte. Bereits über 600 000 Zuwanderer haben seit 2005 bundesweit Integrationskurse absolviert - mehr als die Hälfte von ihnen freiwillig. Zwar habe das Bundesamt in diesem Jahr bereits 15 Millionen Euro mehr zur Verfügung gestellt, doch das reiche nicht, sagt Zülfiye Kaykin, Staatssekretärin für Integration in NRW.
9000 auf der Warteliste
So müssen seit Juli 2010 viele Freiwillige - EU-Bürger etwa oder Deutsche mit geringen Sprachkenntnissen - vor einem Kurs generell drei Monate warten. "Die Nachfrage war so groß, dass wir das steuern mussten", sagt eine Sprecherin des Bundesamtes. Das Paradoxe: Trotz oder gerade wegen der langen Wartelisten fallen Integrationskurse in manchen Gebieten ganz weg, die Warteliste wird zur Sperrzeit. Laut Bundesamt stehen derzeit 9000 Namen auf einer derartigen Warteliste, der Deutsche Volkshochschulverband schätzt, dass es bis zum Jahresende 20 000 und mehr werden.
Viele haben nach der Wartezeit keine Lust mehr
Nach Angaben des Volkshochschulverbandes werden in einigen Gemeinden und ganzen Landkreisen wie etwa dem Kreis Steinfurt in diesem Herbst erstmals keine Integrationskurse mehr angeboten. "Es stehen einfach zu viele Menschen auf der Warteliste. Und die fehlen dann in den Kursen", sagt ein Sprecher. Auch das Spracheninstitut DÜS-Eckert in Düsseldorf merkt die Auswirkungen. "Das Schlimme daran ist, dass in den drei Monaten Wartezeit so viel passieren kann. Viele haben danach keine Lust mehr oder andere Pläne", sagt Inhaberin Irina Eckert. Derzeit unterrichten dort 40 Dozenten auf 1200 Quadratmetern. Doch: In diesem Herbst stehen zum ersten Mal Räume leer.
Bürokratie demotiviert
"Die Nachfrage ist weiterhin riesig", sagt Eckert. "Aber es gelten seit Mitte des Jahres so viele neue Regeln, dass wir viele Kurse nicht mehr voll kriegen." Nur jeder Dritte könne derzeit bei ihr unmittelbar einen Kurs beginnen. "Alle anderen müssen warten oder passen nicht in die Kategorie des Kurses", erklärt Eckert. Ein "Neuzuwanderer" dürfe beispielsweise keinen fortgeschrittenen "Förderkurs" besuchen - auch wenn der Betroffene schon recht gut Deutsch spreche. Diese Bürokratie sei demotivierend für alle Beteiligten, sagt Eckert. "Das Fatale ist, dass auf Bundesebene über Integrationsunwillige debattiert wird und gleichzeitig in NRW tausende Integrationswillige auf einen Kurs warten", sagt Staatssekretärin Kaykin. Das passe einfach nicht zusammen.
Julia ist froh, dass sie als "Neuzuwanderin" schnell einen Kurs besuchen konnte. Schließlich will sie ihr russisches Medizin-Diplom in Deutschland anerkennen lassen. "Ich muss einfach gutes Deutsch sprechen, denn ich will in Deutschland arbeiten als Ärztin", sagt sie mit noch hörbar russischem Akzent. Und wenn ihr Deutsch besser sei, dann hätte vielleicht auch ihr Ehemann zu Hause mehr Lust auf deutsche Gespräche.