Güncelleme Tarihi:
Einer von ihnen war mein Vater, der sich 1963 von Ankara aus auf den Weg machte. Wie er hatten auch die anderen, sogenannten Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter, ganz persönliche Wünsche, Träume und Hoffnungen, die sie zum Aufbruch in das unbekannte Land veranlassten. Und wie er haben sich viele dieser Frauen und Männer nach Ablauf der ursprünglich vorgesehenen Zeit entschieden, in Deutschland zu bleiben und hier eine neue Existenz aufzubauen. Insofern ist die Geschichte der türkischen Einwanderung nach Deutschland auch Teil meiner Familiengeschichte.
Heute anlässlich des fünfzigsten Jahrestages des Abkommens, können wir feststellen, dass Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland ganz selbstverständlich zum Alltag gehören. Doch diese erfreuliche Bilanz darf uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch Probleme gibt. Bei den Einwanderern der ersten Generation stand als Qualifikationsmerkmal vor allem die körperliche Fitness im Vordergrund. Sie hatten kaum Gelegenheiten oder Möglichkeiten, sich in der Freizeit fortzubilden. Auch war die Politik bis in die neunziger Jahre mehr auf Rückkehrförderung als auf Integration ausgerichtet. Als meine Eltern als Gastarbeiter angeworben wurden, gab es keinen Druck, die Sprache zu lernen, heute ist das eine Bringschuld. Hätte es damals schon Sprach- und Integrationskurse für Erwachsene gegeben, stünden wir heute besser da.
Die Sprache ist der Schlüssel zur Integration. Nur wer die deutsche Sprache beherrscht, hat eine Chance, in Schule, Ausbildung oder Beruf mitzukommen. Kinder müssen so früh wie möglich die deutsche Sprache lernen, sie müssen frühzeitig am Bildungssystem teilnehmen. Eltern mit Migrationshintergrund müssen wir zeigen, wie attraktiv Kitas für ihre Kinder sind. Auch ich habe dort Deutsch gelernt.
Wichtig bleibt, sich im Bildungsbereich um die jungen Menschen zu kümmern, damit sie nicht zu einer „verlorenen Generation“ werden. Das gilt gerade bei den kritischen Übergängen, beim Wechsel von der Kita in die Schule oder von der Schule in die Ausbildung. Hier müssen wir die Kinder und Jugendlichen sorgsam begleiten, denn wir brauchen sie: in einer älter werdenden Gesellschaft können wir uns gar nicht leisten, ihre Potenziale und Talente zu verschenken. Und wir werden aufgrund der demographischen Entwicklung eine gezielte Zuwanderung in bestimmte Branchen und Bereiche benötigen, weil wir allein den Bedarf nicht mit den auf dem heimischen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden Kräften decken werden können. Hier bin ich der Überzeugung, dass dabei nicht nach Nationalitäten, Herkunftsländern oder Religion getrennt werden sollte. Entscheidend ist nicht, wo man her kommt, entscheidend ist, ob man mitkommt, ob man bereit ist, sich zu engagieren und einzubringen.
Parallel dazu müssen wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass diejenigen, die zu uns kommen, auch in ihren erlernten Berufen arbeiten können. Mein Onkel zum Beispiel war in der Türkei Maschinenbauingenieur, als er nach Deutschland kam, musste er als Fließbandarbeiter anfangen, um die deutschen Abschlüsse in einem Abendstudium nachzuholen. Verschenkte Zeit für beide Seiten. Stattdessen brauchen wir berufsspezifische Sprach- und Qualifizierungsangebote, um den Fachkräftemangel, der in vielen Branchen bereits existiert, aufzufangen.
Als 1961 das deutsch-türkische Anwerbeabkommen unterzeichnet wurde, war es ein reines Wirtschaftsabkommen. Doch es hat die Geschichte unserer Länder verändert. Die Einwanderer haben mit ihrem Fleiß und ihrem Einsatz nachhaltig zum Aufbau und zum Wohlstand Deutschlands beigetragen. Die Integration ist nach fünfzig Jahren viel weiter vorangekommen, als manche Diskussionsbeiträge behaupten. Mein Beispiel zeigt, man kann in diesem Land viel erreichen. Und zwar als Frau mit Migrationshintergrund. Wenn man bereit ist, die Sprache zu lernen und Chancen, zum Beispiel unser tolles, kostenloses Bildungssystem, anzunehmen. Denn Integration ist keine Einbahnstraße. Vor allem muss jeder, der hier leben möchte, sich auch mit unsrer freiheitlich-demokratischen Grundordnung identifizieren. Dann können wir gemeinsam die Zukunft entwickeln. Darauf freue ich mich.
Aygül ÖZKAN
Niedersächsische Ministerin für Soziales,
Frauen, Familie, Gesundheit und Integration