Güncelleme Tarihi:
Gülseren Gül pfeift scharf, zieht die Gelbe Karte aus ihrer Brusttasche und reckt den Arm weit hinauf in den Berliner Nieselregen. Die nur 153 Zentimeter große Schiedsrichterin hat die Fußball-Männer voll im Griff. Die Neuköllner Sperber liegen bereits 0:6 hinten, die Landesligapartie gegen den BSC Rehberge bleibt aber friedlich. "Echt ein grottenlangweiliges Spiel heute", sagt die Muslimin nach dem Schlusspfiff.
Gulasch mit Kartoffeln
Für den Ausländerkritiker Thilo Sarrazin mag es so aussehen, als wollten sich Muslime nicht integrieren. Auf den Berliner Fußballplätzen gehören sie jedoch längst dazu. Etwa ein Drittel ihrer 110 000 Mitglieder hat einen ausländischen Hintergrund, schätzt der Berliner Fußball-Verband. Gülseren Gül geht nach dem Spiel mit den Spielern aus arabischen, türkischen, russischen und serbischen Familien ins dunkel vertäfelte Vereinsheim des BSC Rehberge und isst Gulasch mit Kartoffeln.
Trainingsanzug der türkischen Nationalmannschaft
"Geh in Deiner Heimat pfeifen!", hört die Schiedsrichterin aus einer türkischen Familie immer wieder bei ihren Spielen. Dabei ist die 34-Jährige in Deutschland geboren und in Schöneberg aufgewachsen. Sie lässt ihr schwarzes Haar offen und verbirgt es nicht unter einem Kopftuch. Auf der anderen Seite trägt sie im Stadion gerne den Trainingsanzug der türkischen Nationalmannschaft, mit Halbmond und Stern auf der Brust.
In Deutschland gibt es 5 muslimische Schiedsrichterinnen
In Berlin gibt es derzeit rund 1200 Schiedsrichter, nur 55 Frauen pfeifen. Und muslimische Schiedsrichterinnen kennt der Fußball-Verband nur fünf. Gülseren Gül ist seit 14 Jahren dabei und sich ihrer Vorbildrolle voll bewusst - nicht nur für Frauen mit Migrationshintergrund. Auch die Gesellschaft soll endlich wahrnehmen, dass nicht alle Musliminnen Kopftuch und lange Hose tragen, sondern auch mal Shorts und Stollenschuhe, findet sie.
Als Kind kickte sie auf der Straße
191 Fußballspiele hat die Postzustellerin im vergangenen Jahr geleitet, als Kind kickte sie auf den Straßen von Schöneberg. "Erstmal waren meine Eltern dagegen, dass ich Schiedsrichterin werde. Mittlerweile habe sie sich aber damit abgefunden", erzählt Gül. Und nun seien die Schiedsrichter-Kollegen wie eine zweite Familie für sie geworden. Deswegen sieht sie auch kein Problem darin, sich mit ihren Assistenten eine Umkleidekabine zu teilen - und erntet komische Blicke.
Das Geschlecht ist problematischer als die Religion
Vielleicht ist auf dem Fußballplatz das Geschlecht tatsächlich wichtiger als die Religion. "Geh in die Küche, Du Frau!", rufen ihr die Spieler immer wieder zu. "Dann schmeiße ich die runter und fertig. Da muss man sich durchsetzen - oder einfach weghören", sagt Gül. Ihr Rolle als Frau und ihre geringe Größe sind für sie häufiger ein Problem als der muslimische Glauben, den man ihr ja auch nicht ansieht.
"Herr Schiedsrichter, äh Herr Schiedsrichterin..."
"Sonst wird ja auf den Mann gehört, was der Mann sagt. Aber die 90 Minuten darf die Frau auch mal sagen, was sie für richtig hält", sagt Refik Saliku (26) vom BSC Rehberge über die einzige Frau auf dem Fußballplatz. Und Kaj Schumann vom Schiedsrichterausschuss berichtet, wie Spieler und Trainer bei der Ansprache stottern: "Herr Schiedsrichter, äh Herr Schiedsrichterin..." Bis jetzt hat Berlin keine einzige Schiedsrichterin, die ein Kopftuch trägt. Spielerinnen mit Kopftuch gebe es viele, sagt Gülseren Gül. Aber als Schiedsrichterin? Gül blickt kritisch. "Sie würde echt Probleme bekommen."