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Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Kolleginnen und Kollegen!
Wir stehen mit Entsetzen und mit Trauer vor den täglich zahlreicher werdenden Erkenntnissen über die Mordserie einer terroristischen Bande. Sehr verehrter Herr Präsident, ich glaube, Sie haben soeben sehr würdevoll das zum Ausdruck gebracht, was in uns allen vorgeht: unsere Gedanken, die bei den Angehörigen sind, die damals ihren Schmerz empfunden haben, der durch die Hintergründe, die jetzt Stück für Stück zum Vorschein kommen, einmal mehr verstärkt wird.
Was uns bleibt, ist das Versprechen, aufzuklären, das Versprechen, diejenigen, die schuldig sind, und ihre Helfershelfer zu bestrafen, und das Versprechen, den geistigen Sumpf, der diesen Untaten zugrunde liegt, mit aller Kraft auszutrocknen.
Diese Morde sind nicht nur Angriffe auf einzelne Menschen, sondern ein Angriff auf unsere Gesellschaft, auf unsere freiheitliche Ordnung, auf unsere Demokratie. Ich denke, wir müssen deutlich machen, dass die Frage der Achtung der Würde des Menschen nicht nur eine staatliche Aufgabe, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist, vor der wir nun gemeinsam stehen. Für Extremismus, für politische Gewalt und für Fremdenfeindlichkeit darf in unserem Land kein Platz sein.
1998 sind drei Verdächtige, denen schon damals Gewalttaten angelastet wurden, spurlos verschwunden, und sie sind verschwunden geblieben. Momentan wird in Thüringen von einem Sonderermittler unter Federführung des dortigen Innenministers mit aller Kraft daran gearbeitet, die Hintergründe, die Umstände und die Zusammenhänge dieser Tatsachen aufzuklären. Die Aufklärung der Verbrechen dieser Mordserie war schwierig. Sie war deswegen schwierig, weil es zu keiner Zeit ein Bekenntnis zu diesen Taten gab. Das mag eine Erklärung sein; aber ich gebe zu: Befriedigend ist diese Erklärung nicht, und sie ist keine Entschuldigung. Deswegen müssen wir ein Stück tiefergehen und weiterfragen.
Das Bundeskriminalamt hat am 11. November im Auftrag des Generalbundesanwaltes seine Arbeit mit einer Sondereinheit von 170 Mann begonnen. Inzwischen arbeiten insgesamt über 400 Polizeikräfte des Bundes und der Länder an dem Fall, man muss sagen: an den Fällen. Denn es ist eine ganze Serie von Fällen, die auch auf der DVD, die die Täter angefertigt haben oder haben anfertigen lassen, im Einzelnen aufgelistet ist.
Die Ermittlungen bewegen sich in zwei Strängen:
Der eine Strang umfasst die polizeilichen Ermittlungen des Bundeskriminalamts im Auftrag des Generalbundesanwaltes und der Landeskriminalämter; die Polizeien des Bundes und der Länder arbeiten zusammen.
Der zweite Strang umfasst den Verfassungsschutz. Im Bereich des Bundes ist das Bundesamt für Verfassungsschutz zuständig. Wir haben bereits am Sonntag vor einer Woche eine Arbeitsgruppe konzipiert wir haben sie am Montag eingesetzt , die zunächst einmal in alle noch vorhandenen Akten über den Zeitraum Einblick nimmt, in dem die Morde stattgefunden haben: 1996, 1997 und 1998 sowie die Folgezeit. Die Verfassungsschutzämter der Länder unterstehen der dortigen Kontrolle durch die Länder. Aber sie arbeiten eng mit dem Bundesverfassungsschutz zusammen und tauschen jetzt ihre Informationen und die aktuellen Erkenntnisse aus, die jeweils zutage treten. Ich denke, dass wir sowohl über das Bundesamt für Verfassungsschutz wie auch über die Polizeiermittlungsbehörden der Länder rasch ein Gesamtbild bekommen werden. Der Generalbundesanwalt, dem ich an dieser Stelle ganz herz-lich für seine Arbeit danken möchte er hat in seiner neuen Funktion gerade erst begonnen , ist bereits ein gutes Stück vorangekommen.
Am Ende, wenn wir alle Erkenntnisse haben, werden wir über Konsequenzen reden können. Aber wir sollten nicht zögern, schon die Defizite und die Mängel, die jetzt erkennbar sind, abzustellen und sofort zu handeln. Frau Leutheusser-Schnarren-berger und ich hatten deswegen für vergangenen Freitag die Innen- und Justizminister von Bund und Ländern nach Berlin eingeladen. Wir habendie ersten Maßnahmen beziehungsweise über die ersten Neuregelungen organisatorischer und gesetzlicher Art beraten, die wir uns vorstellen können und die wir einleiten wollen.
Erstens. Folgendes war und ist, glaube ich, Konsens zwischen allen: Wir brauchen eine bessere Verzahnung von Polizei und Verfassungsschutz. Wir brauchen aber auch eine bessere Verzahnung zwischen der Ebene Bund auf der einen Seite und der Ebene Länder auf der anderen Seite. Wir haben so etwas vor zehn Jahren im Bereich des islamistischen Terrors eingerichtet. Seit dieser Zeit gibt es eine Verbunddatei, in welche die unterschiedlichen Behörden, die unterschiedliche Aufgaben und Rechtsgrundlagen haben, ihre Informationen, die auch für die anderen relevant sind, einspeisen können. Diese Verbunddatei hat sich bewährt. Wir planen, etwasim Bereich des rechtsextremistischen Terrors auf den Weg zu bringen, wobei wir wissen, dass es Modifizierungen geben muss; beispielsweise gibt es keine internationalen Bezüge. Darüber hinaus müssen wir etwas weiter greifen als bis zum Terrorismus: Wir müssen bereits den Extremismus erfassen. Noch in dieser Woche wird eine Arbeitsgruppe von Bund und Ländern darangehen, die Einzelheiten, wie diese Verbunddatei ausgestaltet werden soll, zu klären.
Zweitens. Wir haben, was den Bereich des terroristischen Islam angeht, ein gemeinsames Terrorabwehrzentrum gegründet, in dem alle Behörden aus Bund und Ländern ihre Erkenntnisse einspeisen und in dem laufend ein Erkenntnisbild der Terrorsituation und der Bedrohung erstellt wird. Das Gleiche ähnlich wie das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum wollen wir auch in Bezug auf den Rechtsextremismus etablieren. Ein solches Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus soll schon bald seine Arbeit aufnehmen, in der Hoffnung, dass sich alle Länder daran beteiligen werden.
Drittens. Das Gesetz unterscheidet heute bei der Frage, welche Informationen über Extremisten gespeichert werden dürfen, zwischen gewaltbereiten und gewaltfreien Extremisten. Ich halte diese Unterscheidung für anachronistisch. Denn wir stellen fest, dass der Übergang zwischen Gewalt und gewaltfrei, gewaltfrei und Gewalt fließend ist. Wir müssen deswegen dafür sorgen, dass auch diese Unterscheidung aufgehoben wird und wir ein Lagebild aller Extremisten erstellen können.
Viertens. Es liegt in der Hand der Innenminister der Länder, auch für den Bereich des Rechtsextremismus das zu tun, was man vor zehn Jahren im Hinblick auf den islamistischen Bereich getan hat, nämlich die Federführung in Angelegenheiten des Bundesverfassungsschutzes eindeutig und klar dem Verfassungsschutz des Bundes zuzuordnen, das heißt, die Länder zu verpflichten, den Behörden des Bundes Erkenntnisse ihrer Verfassungsschutzbehörden ungefiltert und unbewertet, sozusagen in Rohform, zu liefern. Ich halte das für zentral und wichtig. Wir werden das im Kreis der Innenminister der Länder besprechen, wenn die Innenministerkonferenz übernächste Woche ihre Arbeit aufnimmt.
In diesem Zusammenhang ist einmal mehr die Rede von einem NPD-Verbots-verfahren. Ich denke, wir sollten diesen Aspekt jetzt nicht in den Mittelpunkt rücken. Jetzt geht es vielmehr darum, die Konsequenzen zu ziehen. Gleichwohl wird sich die Diskussion über ein solches NPD-Verbotsverfahren nicht vermeiden lassen.
Ich selber habe keine Zweifel, dass es sich bei der NPD um eine verfassungsfeindliche Partei handelt. Die Frage lautet: Ist es sinnvoll, eine solche Partei zu verbieten? Hat man mit einem Verbot bereits den geistigen Sumpf, der dort herrscht, ausgerottet? Nein, natürlich nicht. Dennoch glaube ich, dass ein Verbotsverfahren oder ein Verbot, wenn es denn erreichbar wäre, sinnvoll ist, weil man damit zumindest schon einmal verhindert hätte, dass eine solche Partei auch noch aus dem Bereich der Parteienfinanzierung unterstützt wird.
Gleichwohl ist es nicht einfach, ein solches Verbotsverfahren erfolgreich durchzuführen. Denn das Bundesverfassungsgericht hat uns 2003 Hinweise gegeben, welche Qualität verwertbarer Beweise es erwartet. Es hat klipp und klar gesagt: Ihr müsst die Quellen, die ihr zumindest in den Führungsbereichen dieser Partei habt, abschalten. Das ist mit einem Risiko verbunden. Ich möchte in diesem Zusammenhang sagen, dass wir das Thema V-Leute zwar diskutieren müssen, dass ich die V-Leute aber grundsätzlich für ein wichtiges und unverzichtbares Frühwarnsystem in der Szene halte. Wir sehen, dass es notwendig ist, entsprechende Informationen aus den verschiedenen Organisationen zu bekommen.
Ich möchte darauf hinweisen, dass seit 1990 über 30 rechtsextremistische Organisationen verboten worden sind. Diese Verbote waren möglich, weil man Informationen und verwertbare Beweise hatte. Ich glaube, dass die V-Leute da eine wichtige Rolle spielen. Dennoch wird man im Zusammenhang mit dem NPD-Verbotsverfahren unter Abwägung von Risiko und Nutzen prüfen müssen, ob man ein solches Verbotsverfahren durchführen kann, und zwar mit Erfolg; denn darauf wird es ankommen. Wir werden das im Kreise der Innenminister von Bund und Ländern beraten. Eine Arbeitsgruppe ist bereits eingesetzt und wird ihre Arbeit unverzüglich aufnehmen.
Am Ende ist wichtig das muss das Signal von Bundestag und Bundesregierung gleichermaßen sein , dass wir, Gesellschaft, Politik, Sicherheitsbehörden, uns im 21. Jahrhundert gemeinsam den Problemen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt in unserem Land all dies muss ein für allemal geächtet werden widmen und dass wir das mit Entschlossenheit nach draußen tragen.