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Können Sie sich das vorstellen? In der Stadt, in der sie leben, wird plötzlich von Bauarbeitern eine Mauer gebaut, geschützt vor bewaffneten Soldaten. Eine Mauer zum Beispiel quer durch Istanbul. Der Westteil der Stadt bleibt frei, aber die Istanbuler im Osten jenseits von Besiktas dürfen nicht mehr ihre Eltern, Kinder, Brüder und Schwestern, besuchen. Quer durch die Stadt geht eine Mauer und der Taksim-Platz liegt wie der Potsdamer Platz, früher einer der belebtesten Plätze Europas plötzlich im Niemandsland, im Todesstreifen direkt hinter der Mauer. Unvorstellbar, oder?
Dies war die Realität Berlins bis zum 9.November 1989, als die Mauer fiel und sich Familien erstmals nach 28 Jahren wieder sehen konnten. Bis dahin sind 231 Menschen alleine an der Berliner Mauer ums Leben gekommen, weil DDR-Grenzer auf jeden, der von Ost nach West, von Friedrichshain nach Kreuzberg, von Pankow nach Wedding fliehen wollte, schossen. Im Museum am Checkpoint Charlie in Berlin kann man spannende Lebensgeschichten der Teilung sehen. Ein Besuch lohnt sich.
Für viele Türken lag die Mauer quasi vor der Haustür, denn sie lebten in den unattraktiven Wohngegenden direkt an der hässlichen Mauer, sei es in Kreuzberg oder im Wedding.
Als die Mauer fiel, freuten sich zunächst auch die Türken in West-Berlin mit den Ost-Berlinern, die sie in gewohnter Gastfreundlichkeit Willkommen hießen. Doch schnell ändert sich das Klima. Viele Ostdeutsche übernahmen die Jobs, die vorher Türken inne hatten und eine neue Fremdenfeindlichkeit machte sich breit. Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte einmal bei einem Empfang für Gastarbeiter der ersten Generation, sie habe als frühere DDR-Bürgerin erst später gemerkt, welche Verletzungen viele Türken 1989 erlebt haben. Plötzlich lagen sich wildfremde Menschen aus West und Ost in den Armen, man zahlte Begrüßungsgeld und vergaß die Nachbarn, die schon seit Jahrzehnten nur ein paar Häuser nebenan wohnten. Nevim Cil hat in einer Studie zum Fall der Mauer einen Gastarbeiter der ersten Generation, der nach der Wiedervereinigung arbeitslos wurde, zitiert: „Die Mauer ist gefallen, und ein Jahr später ist sie uns auf die Köpfe gefallen.“
Bei der ersten Einheit hat Deutschland nach 1945 zunächst zwölf Millionen Vertriebene und Flüchtlinge aus dem Osten integriert und ihnen Aufstiegschancen eröffnet. 1989/1990 kümmerten sich alle um die zweite Einheit und um die Integration der Ostdeutschen. Heute haben wir die Chance, 50 Jahre nach dem Anwerbeabkommen mit der Türkei, endlich die dritte deutsche Einheit zu vollenden, in der jedes Zuwandererkind echte Austiegschancen hat.